Im Fokus der weiteren Reform des europäischen Energiemarktes sollen nach dem Willen der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates und des EU-Parlaments die Haushalte und Geschäftskunden stehen. Der gemeinsame EU-Strommarkt mit den gekoppelten nationalen Strommärkten erspart den Verbrauchern in der EU bereits heute Kosten in Milliardenhöhe. Allerdings lässt sich das Potenzial möglicher Einsparungen bislang nicht in voller Höhe heben. Notwendig ist hierfür eine weitere Marktintegration, die nicht nur zu effizientem Wettbewerb in den gekoppelten Großhandelsmärkten, sondern auch in den jeweils nachgelagerten regionalen oder lokalen Endkundenmärkten führt.

Die Rolle der Energiepreise

Die Reduzierung der Kosten auf ein effizientes, wettbewerbliches Maß setzt das Verstehen und das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Marktpreisbildung voraus. Grundlage dafür ist Transparenz. Der Frage, ob wir den heutigen Energiemärkten vertrauen können, geht der Policy Brief des Regulatory Assistance Projects (RAP) Can we trust electricity prices? nach. RAP hat diese Frage hier auf EU-Ebene untersucht, die auch für die nationalen Märkte eine große Relevanz hat. In Deutschland ist gerade der sogenannte Energy-Only Markt 2.0 beschlossen worden, der auch Investitionen in neue Erzeugungskapazitäten auf Basis von Marktpreisspitzen gewährleisten soll. Ohne Transparenz ist dies nicht zu erreichen. Politisch kann dies ein riskantes Geschäft sein, denn je geringer der Glauben in die Verlässlichkeit der Strompreise ausgeprägt ist, desto umfangreicher werden die notwendigen Absicherungen (Reservekraftwerke), die wiederum zusätzliche Kosten verursachen. Am Ende kann dieser Teufelskreis das Konzept der Versorgungssicherheit auf Basis von Knappheitspreise sogar aushebeln.

Hinzu kommt, dass der zukünftige Energiemarkt stärker von wetterabhängiger und damit fluktuierender Erzeugung—und damit Flexibilitätsanforderungen—geprägt sein wird. Um diese Anforderungen kostenoptimiert bewältigen zu können, sollen künftig die Stromnachfrage als auch die eventuellen Stromspeicher der Endkunden marktorientiert eingesetzt werden. Dadurch wird es wesentlich mehr Marktteilnehmer geben, die nicht auf langjährige oder marktmächtige Erfahrungen zurückgreifen können. Ihre erfolgreiche Marktteilnahme hängt in wesentlich größerem Umfang von der Transparenz und der Verlässlichkeit der Marktdaten ab.

Kritische Transparenz

Der bisherige Prozess, um Transparenz zu schaffen ist jedoch im Gegensatz zu den Anforderungen der künftigen Marktstruktur vom Beharren auf hoheitlichem Wissen und Daten geprägt. Bei wettbewerblichen Akteuren wie Kraftwerksbetreibern, Händlern oder Lieferanten ist dies aufgrund der Konkurrenzsituation nachvollziehbar. Bei den Betreibern der hoheitlichen Systeme und Funktionen—also Netzbetreiber, Handelsplätze und Regulierer—ist dies unverständlich. Darüber hinaus können Intransparenz oder Verschleppung von Transparenz sogar den Erfolg des gemeinsamen Marktes und der Transformation gefährden.

Während der Arbeiten an einer Studie zu den Netzentgelten in Deutschland hat RAP festgestellt, dass viele Fragen unbeantwortet bleiben müssen, da die Grundlagen und Daten nicht verfügbar sind. Um den gesellschaftlichen Diskurs der Transformation voran zu treiben, haben Agora Energiewende und RAP sich entschlossen, die Situation genauer zu analysieren. Als Ergebnis dieser Arbeit wird in der Studie Transparenzdefizite der Netzregulierung der Nachholbedarf Deutschlands in der Netzregulierung aufgeführt.

Als weiteres Beispiel sei hier erwähnt, dass die Übertragungsnetzbetreiber für den gesicherten Systembetrieb in die wettbewerbliche Kraftwerkssteuerung eingreifen. Diese sogenannten Redispatch-Maßnahmen haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Zwar wird eine Liste der Maßnahmen mit den zugehörigen Leistungs- und Arbeitswerten veröffentlicht. Die damit verbundenen Kosten sind jedoch nicht bekannt. Nur quartalsweise werden die Beträge in den Berichten der Systembetreiber veröffentlicht. Optionen für die Vermeidung können daran nicht geprüft werden. Die Marktteilnehmer und Verbraucher werden somit vom Akteur zum Zahlmeister degradiert.

Für die relevanten (nationalen) Daten der Stromerzeugung und der Regelleistung mussten die Marktteilnehmer lange kämpfen. Manche Daten werden hoheitlich veröffentlicht, wie z.B. von den Übertragungsnetzbetreibern, andere privat, wie die Erzeugungs- und Lastdaten von Agora Energiewende im sogenannten Agorameter. An der Mentalität der Datenproduzenten, nur bei Zwang oder großem öffentlichen Druck aktiv zu werden, hat sich nichts grundsätzlich geändert. Anderenfalls würde es Initiativen der Übertragungsnetzbetreiber geben, die entsprechenden Daten zu veröffentlichen.

Mitte Oktober werden die EEG-Umlage und die Netzentgelte für das folgende Jahr veröffentlicht. Erhöhungen des Strompreises werden häufig mit den Kostensteigerungen dieser von den Stromanbietern nicht zu beeinflussenden Anteils begründet. Letztendlich kann kaum aufgeklärt werden, inwieweit diese Erhöhungen tatsächlich begründet sind, da die Datengrundlagen nicht öffentlich verfügbar sind. Sicher ist jedoch, dass das Vertrauen in den Markt, die Energieversorger und die Energiewende insgesamt dadurch nicht wächst.

Gemeinsam Stark

Neben den hier geschilderten nationalen Hausaufgaben gibt es jedoch eine europäische Gemeinschaftsaufgabe. Wir wollen die nationalen Energiemärkte stärker zum gemeinsamen Nutzen verbinden. Die nationalen Spezifika nehmen jedoch trotz gegenteiliger Bekundungen nicht ab, sondern zu—beispielsweise im Bereich der Kapazitätsmärkte.

Wenn es gelingen soll, den Verbrauchern den Wert eines gemeinsamen Marktes auszukehren, muss Transparenz der erste Schritt sein. Daten und Entscheidungen sind von allen Beteiligten offenzulegen. Hierzu brauchen wir auch auf europäischer Ebene starke Regularien und Institution wie ACER (Agency for the Cooperation of Energy Regulators), die Transparenz umsetzen oder auch von den Mitgliedsländern verbindlich einfordern können. Um das genaue Transparenz-Maß bestimmen zu können, sind Stakeholder Prozesse notwendig, in denen die Interessen der Beteiligten vorgebracht und in deren Rahmen im Sinne des gemeinschaftlichen Marktes entschieden wird. Nur dann können Marktreformen das liefern, was wir uns von ihnen versprechen.