Die Gasindustrie investiert aktuell, was das Zeug hält. 2019 flossen rund 2,5 Milliarden Euro in den Aus- und Neubau der deutschen Gasnetze (BNetzA Monitoring-Bericht). Bis 2030 sind laut Netzentwicklungsplan Gas allein für die Ferngasnetze weitere 2,2 Milliarden Euro vorgesehen, wobei die Ferngasnetzbetreiber sogar Investitionen in Höhe von 7,8 Milliarden Euro für nötig halten. Die Zahlen erwecken den Eindruck, dass Gasnetze künftig die gleiche Bedeutung haben werden wie heute. Dabei wissen wir: Diese Planung der Gasinfrastruktur ist falsch. Hier werden erhebliche Kostenfallen für Heizkund:innen und Steuerzahler:innen errichtet.
Denn heute wird ein Großteil der Gasinfrastruktur für die Wärmeversorgung benötigt. 2019 wurden über die gut 700 Verteilnetze 761 Terawattstunden (TWh) fossiles Erdgas ausgespeist. Fast alle Klimaneutralitätsszenarien sehen aber im Gebäudebereich den massiven Umstieg auf Wärmepumpen und den Anschluss an grüne Nah- und Fernwärmenetze vor (siehe unter anderem Agora Energiewende, Ariadne und BMWi).
Weder Erdgaskessel noch wasserstoffbetriebene Heizsysteme erfüllen das Prinzip der klimaneutralen und effizienten Verwendung von grüner Energie. Bei der Gebäudeheizung auf einen (noch) raren und teuren Energieträger wie Wasserstoff zu setzen, ist schlicht kein tragfähiges Konzept zur Klimaneutralität. Immer mehr Gasverteilnetze werden zukünftig kaum noch benötigt.
Fragwürdige Nutzungsdauern von bis zu 55 Jahren
Trotzdem hat die Bundesnetzagentur für die Regulierungsperiode 2023 bis 2027 „attraktive Investitionsbedingungen“ mit einer Eigenkapitalverzinsung von rund fünf Prozent (vor Körperschaftssteuer) für die Netze festgelegt. Auch gelten weiterhin für Neuinvestitionen die Nutzungsdauern aus der Gasnetzentgeltverordnung von 35 bis 55 Jahren. Und zudem hat die Bundesnetzagentur in diesem Jahr für 125 Gasverteilnetze rund 4,5 Milliarden Euro als Erlösobergrenzen genehmigt. Das gleiche finanzielle Volumen ergibt sich, wenn man die im Monitoringbericht der BNetzA bereitgestellten Daten für 2019 hochrechnet: Über den durchschnittlichen Verbrauch eines Gas-Haushaltskunden von 23 Megawattstunden im Jahr ergeben sich für 12,8 Millionen Haushaltsverbraucher mit einem durchschnittlichen Netzentgelte von 1,56 Cent pro Kilowattstunde Netzkostenbeiträge von 4,59 Milliarden Euro.
An dem rund 522.000 Kilometer langen Gasverteilnetz sind mehr als 12,8 Millionen Haushalts- und 1,7 Millionen Gewerbe- und Industriekunden angeschlossen. Der heutige, jährliche Finanzierungsbeitrag der Haushaltskunden über ihren Wärmebedarf (inklusive des geringen Anteils für das Kochen) für diese Gasverteilnetze von über vier Milliarden Euro wird aber im Zuge der Energiewende im Jahr 2045 auf null sinken.
Planung umstellen und Regulierer stärken
Um weitere kostspielige Fehlinvestitionen zu verhindern, muss daher jetzt die gesamte Planung auf die neue, klimaneutrale Welt umgestellt werden. Dafür brauchen wir eine ehrlich geführte Diskussion rund um die Möglichkeiten, Planungen und Kosten der Stilllegung des deutschen Gas-Verteilnetzes. Ansonsten werden weiterhin Investitionen getätigt, die die stillzulegende Infrastruktur durch den Aufbau von Investitionsruinen noch verteuern. Die Folge wären Milliardensummen für Übergänge, Kompensationen und Entschädigungen, Fehler die es beim Kohleausstieg schon genug gibt.
Weitsichtige Energie- und Klimapolitik sollte daher jetzt den bevorstehenden Ausstieg aus dem Gas planen. Dazu muss die Gasnetzregulierung angepasst werden. Alternativen zum Gasverteilnetzausbau müssen genutzt werden, so wie es das Prinzip Efficiency First der Europäischen Union vorsieht, sofern sie günstiger sind. Dies verlangt eine Anpassung des Regulierungsrahmens, weil Verzinsungen sowie Abschreibungs- und Nutzungsdauern aktuell nicht zur Klimaneutralität 2045 passen.
Auch die Rolle des Regulierers muss dafür gestärkt werden, wie es das Urteil des Europäischen Gerichtshofs der Bundesregierung vorschreibt. Dazu gehört zukünftig eben nicht nur der Ausbau, sondern insbesondere im Gasverteilnetz auch der Rückbau. Es bleibt zu hoffen, dass der jetzt zu entwickelnde Koalitionsvertrag diese Ansätze widerspiegelt, damit nicht weitere Jahre verloren gehen – und am Schluss unnötige Kosten für Steuerzahler:innen angehäuft werden. Denn sonst wird im Zweifel der Staat in den 2030er Jahren eingreifen müssen, um Stadtwerke und andere Netzbetreiber zu retten.
Eine Version dieses Artikels erschien in Tagesspiegel Background.
Dr. Barbara Saerbeck ist Projektleiterin für Grundsatzfragen bei Agora Energiewende.