Ein Stein kommt ins Rollen. Die Bundesnetzagentur hat verkündet, dass sie zum Januar 2024 zeitvariable Netzentgelte einführen will. Mit dem vorliegenden, detaillierten Festlegungsentwurf zum Paragrafen 14a des Energiewirtschaftsgesetzes wurde eine zweite Konsultationsrunde eingeläutet. Gerade einmal fünf Monate danach soll es mit der zeitlichen Netzbepreisung losgehen. Das klingt ganz nach dem beschworenen Deutschlandtempo – zumindest im Vergleich zu dem bisherigen Stillstand. Wie und wann es tatsächlich losgeht, wird sich erst mit der Festlegung im Herbst zeigen. Aber was steckt für die Verbraucher:innen, Marktteilnehmer:innen und die Transformation insgesamt in diesem Entwurf?

Warum eine zeitliche Netzbepreisung so wichtig ist

Die relevanten Netzhöchstlasten treten nur an wenigen Stunden des Tages auf. Höhere Netzpreise für diese Stunden helfen, einen Anstieg der Spitzenlast zu verlangsamen und den alternativen, aber teuren Netzausbau zu begrenzen oder sogar zu vermeiden. Niedrigere Netzpreise in Schwachlastzeiten können zudem Lasten in diese Zeiten lenken und somit eine bessere Nutzung lokaler Netze und erneuerbarer Erzeugung anreizen. Die Summe aller Netzkosten lässt sich so eindämmen, zum Nutzen aller Verbraucher:innen.

Die Struktur der Netzentgelte in Deutschland stammt noch vollständig aus der Zeit vor der Energiewende: Das Lastverhalten der Verbraucher:innen wurde als tageszeitlich standardisiert, also als nicht flexibel und faktisch nicht durch Preise beeinflussbar angenommen. Energieerzeugung war hingegen zentral und steuerbar. Bei der Allokation der Netzkosten ging es daher um die Angemessenheit der Kosten, also um die Verteilungsfunktion für getätigte Investitionen. Deutschland hat mit der Energiewende bislang maßgeblich die Erzeugung verändert. Die gewinnbringende Interaktion mit der Nachfrageseite wurde bislang wenig beachtet. Notwendige Grundlagen wurden verschleppt: der Einsatz von Smart Metern, der Umgang mit den heterogenen Verteilnetzstrukturen und den entsprechenden Entgelten und die Digitalisierung der Netzinformationen.

Zwischenzeitlich haben viele Länder Smart Meter zum Standard erhoben, die Wirksamkeit von zeitlichen Tarifierungen nachgewiesen sowie Markt- als auch Verbrauchsreaktionen erforscht. So gibt es Untersuchungen zur Akzeptanz für unterschiedliche Preismodelle oder Kosten-Nutzen-Analysen in Bezug auf die langfristigen Grenzkosten des Netzes. In den Untersuchungen der europäischen Regulierungsbehörde ACER zu den Netzentgelten nimmt Deutschland 2023 folglich eine Außenseiterrolle ein.

So zeigen die ACER-Empfehlungen den Aufholbedarf: Netzentgelte sollen (auch) die Kosten des Netzausbaus widerspiegeln, Regulierer die Auswirkung von zeitvariablen Entgelten auf die Spitzenlast untersuchen, zeitvariable Netzentgelte für alle Verbraucher:innen mit entsprechenden Zählern einführen oder Netzentgelte nach Peak-Anteil der Konsumentengruppe erwägen. Immerhin sollen die dafür notwendigen Zähler absehbar auch in Deutschland installiert werden.

Außer Frage steht, dass Netzbetreiber uns alle sicher und verlässlich mit Strom versorgen sollen. Wenn als letzte Option dafür Netzeingriffe nötig sind – die der Festlegungsentwurf ermöglichen soll – dann kommt uns das allen zugute. Um die Akzeptanz eines solchen seltenen Eingriffs zu gewährleisten, scheint die ebenfalls vorgeschlagene Verpflichtung zur Transparenz und Dokumentation der Eingriffe einen angemessenen Kompromiss darzustellen.

Anreize, Angebote und Reaktionen heterogen

Deshalb ist es richtig, dass die Bundesnetzagentur mit dem beginnenden Roll-out der Zähler auch die Netzbepreisung modifiziert. So müssen alle Lieferanten spätestens ab 2025 dynamische Tarife entsprechend des Großhandelspreises anbieten. Damit ist jetzt der ideale Zeitpunkt, um auch die Auslastung des Netzes als Parameter in diese Tarife einfließen zu lassen. Durch das zeitliche Netzentgelt wird der Preisunterschied in Endkundenangeboten erhöht, als Folge steigt die Attraktivität für Lastverschiebungen – für den Markt und die Verbraucher:innen.

Neu ist, dass die Beschlusskammern der Bundesnetzagentur – neben der pauschalen Vergütung für die Steuerung – den Netzbetreibern vorschreiben, ein zeitliches dreistufiges Netzentgelt anzubieten, welches von den Verbraucher:innen hinzugewählt werden kann. Bei der Höhe der Preise und den jeweiligen Zeiten soll den Netzbetreibern viel Gestaltungsspielraum bleiben, da nur maximale prozentuale Spreizungen vorgegeben werden sollen.

Durch die heutige heterogene Höhe der Netzentgelte und die individuellen Festlegungen der Verteilnetze, werden die Anreize, Angebote und Reaktionen sehr unterschiedlich ausfallen. Daraus eröffnet sich die Möglichkeit einer breiten Evaluation von Anreizen und Wirkungen inklusive Verteilungsfragen, Akzeptanz, Kosten-Nutzen-Analysen und den marktlichen Angeboten insgesamt. Die Struktur eines Monitorings mit Evaluierung der Ziele ist im Festlegungsentwurf noch nicht zu erkennen, sollte aber von Beginn an mitgedacht werden.

Die zu bestimmende Netzwirksamkeit der Bepreisung hängt maßgeblich von den aufgerufenen Preisunterschieden ab. Ob diese Wirkungen in großen Netzen mit einer großen Kundengruppe größer sein werden, da diese schneller und besser mit Angeboten erschlossen werden, wäre noch zu eruieren. Gleiches gilt für eine verbindliche – statt einer wählbaren – zeitlichen Netzbepreisung für die Verbraucher:innen mit entsprechenden Zählern und flexiblen Verbräuchen.

Weitere Untersuchungsaspekte könnte die angemessene Beteiligung von Prosumern an den Netzkosten, die Betriebsweise von verbrauchseitiger Flexibilität und Speichern oder auch die Entwicklung der Lastgradienten und das Wechselspiel zwischen Strom- und Netzpreisen sein. Letztendlich muss die Rolle definiert werden, die (zeitliche oder später auch dynamische) Netzentgelte zwischen der Netzplanung und dem Netzbetrieb einnehmen sollen, und welche anderen Maßnahmen, wie lokal kontrahierte Abschaltleistungen, diese ergänzen (sollen).

Die anstehende 14a-Festlegung der Bundesnetzagentur stellt somit erst den Anfang, aber nicht das Ende der Netzentgeltdebatten dar. Ob hier nun ein Deutschlandtempo Einzug hält, hängt davon ab, ob wir die Zeit effektiv nutzen, Daten und Erfahrungen sammeln und auswerten, Fragestellungen präzisieren und Ziele genauer formulieren. Die Netzinfrastruktur und deren Bepreisung ist kein Selbstzweck, sondern die Grundlage für eine kostenoptimierte, saubere und sichere Energieversorgung. Packen wir es an!

Eine Version dieses Artikels erschien in Tagesspiegel Background.